Dorothee Müller ist Mitarbeiterin im Bereich der Didaktik der Informatik an der Bergischen Universität Wuppertal. In ihrem Beitrag für DIGITAL LERNEN stellt sie das "SpionCamp" vor – ein Projekt, das Schülern die Datenverschlüsselung anschaulich vermittelt.
In der Folge der NSA-Affäre ist die Frage nach dem Datenschutz so stark ins allgemeine Bewusstsein getreten wie selten zuvor. Notwendigkeit, Möglichkeiten, Nutzen und Grenzen von Datenverschlüsselung werden privat und in den Medien diskutiert. Es ist ein an die Schulen gerichteter Bildungsauftrag, die Befähigung der Schülerinnen und Schüler zur Auseinandersetzung mit den Phänomen der Gesellschaft und der gegenwärtigen kulturellen Wirklichkeit zu fördern und ihnen die Mitgestaltung zu ermöglichen. Zu den Phänomenen der Gesellschaft und unserer kulturellen Wirklichkeit gehört unabhängig von der aktuellen Situation der Schutz der Persönlichkeit und damit der personenbezogenen Daten. Wenn mehr erreicht werden soll als die unreflektierte Anwendung von Verschlüsselungsmechanismen, müssen in den Schulen Kenntnisse der Kryptographie als Grundlage für sowohl die fundierte Beurteilung der Datenschutzsituation wie auch für ihre Mitgestaltung vermittelt werden.
Mit dem "SpionCamp" wurden Lernstationen zur Kryptographie als Material für schulische und außerschulische Unterrichtssituationen entwickelt. Jede der bisher realisierten dreizehn Stationen beschäftigt sich mit einem anderen Verfahren oder Aspekt der Kryptographie. Die meisten Stationen sind für die Sekundarstufe I konzipiert, aber ihr Einsatz wurde ebenfalls in der Sekundarstufe II erfolgreich erprobt. Die Materialien können für Unterrichtseinheiten in der Form des Stationenlernens aber auch in anderen Lernkontexten genutzt werden. So wurde zum Beispiel mit einzelnen Stationen beim Mädchenzukunftstag und bei Kinderforschertagen gearbeitet. Eingesetzt wurde das "SpionCamp" auch in der Erwachsenenfortbildung – unter anderem bei der Jahrestagung der deutschen Krimiautoren – und auf zahlreichen Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer, die im Rahmen von bundeslandbezogenen Tagungen der Gesellschaft für Informatik beispielsweise in Berlin, Niedersachsen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen stattfanden.
Es ist Ziel der Lernstationen, dass sich die Lernenden Grundlagen der Kryptographie erarbeiten, indem sie verschiedenartige Verschlüsselungsverfahren kennenlernen und ausprobieren. Eigenes Entdecken und Erproben von Ver- und Entschlüsselungsverfahren steht dabei im Vordergrund. Die Lernenden werden zum Beispiel in die Rolle eines Angreifers versetzt und entwickeln Möglichkeiten zum "Knacken" der Verschlüsselung. Bei der Bearbeitung verschiedener Stationen wird durch den unterschiedlichen Schwierigkeitsgrad des spielerischen Ver- bzw. Entschlüsselns der Sicherheitsgrad der Verfahren erfahrbar. Die Lernenden erlangen so die Fähigkeit, die Sicherheit und Praktikabilität der Verfahren zu beurteilen. Das selbsttätige Entschlüsseln nach den Vorgaben des Stationsblattes macht zudem die Algorithmusidee (be-)greifbar.
Die Lernstationen: Von den frühen Verschlüsselungsverfahren, die lediglich einen sicheren Umgang mit Alphabeten erfordern, bis hin zu modernen Verfahren, die in höherem Maße mathematische Grundlagen verwenden, bieten die Stationen unterschiedliche Schwierigkeitsstufen. Die in der historischen Entwicklung zunehmende Komplexität von verwandten Verfahren – wie zum Beispiel der Substitutionsverfahren Caesar-Code, Vigenère und Enigma – zeigt Entwicklungen von einfachen zu komplexeren Algorithmen auf.
Durch die Einteilung in Stationen werden modulare Lerneinheiten gebildet, die – je nach den didaktischen Zielen der/des Lehrenden – auch getrennt einsetzbar sind. Werden die Lernstationen im Gesamtzusammenhang eingesetzt, kann das Thema Kryptographie von den Lernenden selbst in der Bearbeitung rekonstruiert werden. Unterstützt wird dies durch eine transparente Strukturierung des Materials in fünf Bereiche:
Die Kodierung wurde in Abgrenzung zur Verschlüsselung bewusst mit mehreren Stationen – Braille, Winkeralphabet und Morsealphabet – aufgenommen.
Die Steganographie, bei der es nicht um die Verschlüsselung, sondern um das Verstecken von Nachrichten geht, ist mit einer Station vertreten.
Die Transposition, die Verschlüsselung durch Neuanordnung der Zeichen, ist mit drei Stationen – Skytale, Schablonen und Pflügen – realisiert.
Für die Substitution, das Ersetzen der Zeichen durch andere in mono- und polyalphabetische Verfahren, werden vier Stationen – Caesar, Freimaurer, Vigenère und Enigma – angeboten.
Für den Schlüsselaustausch wurden eine Station zum Diffie-Hellman-Algorithmus und eine eventuell notwendige Zusatzstation zur Modulorechnung erstellt.
Die Zuordnung zum jeweiligen Bereich wird auf dem jedem Stationsblatt mit einem entsprechenden Symbol verbildlicht und auch explizit ausformuliert. So heißt es zum Beispiel auf allen Stationsblättern zur Substitution:
Die Buchstaben bleiben wo sie sind, aber nicht was sie sind.
Solche Verschlüsselungen heißen Substitution. (Das Wort Substitution
ist abgeleitet vom lateinischen Wort substituere = ersetzen.)
Stationselemente: Jede Station besteht zumindest aus Stationsblatt, Arbeitsblatt und Lösungsblatt. Das Stationsblatt erläutert das jeweilige Verschlüsselungsverfahren, erklärt Zusammenhänge und berichtet eventuell vom historischen Hintergrund. Das Aufgabenblatt bietet die Möglichkeit, das Gelernte bei der Lösung von Aufgaben verschiedenen Schwierigkeitsgrads auszuprobieren. Das entsprechende Lösungsblatt kann zur Selbstkontrolle der Lernenden an der jeweiligen Station ausgelegt werden. An den meisten Stationen werden darüber hinaus zusätzliche Materialien für ein aktives Erproben des jeweiligen Verfahrens zur Verfügung gestellt. Damit werden verschiedene Sinne angesprochen, ein abwechslungsreiches Lernen gefördert und die eigene Aktivität der Lernenden angeregt. So müssen beispielsweise bei der Braille-Kodierung (Blindenschrift) die Schriftzeichen ertastet werden, um die Nachricht zu entziffern, und bei dem mehr als 2500 Jahren alten Prinzip der Verschlüsselung mit Hilfe einer Skytale, muss die auf ein Band geschriebenen Botschaft erst um den passenden Stab (Skytale) gewickelt werden, damit sie gelesen werden kann.
Stations-, Arbeits- und Lösungsblätter können heruntergeladen und ausgedruckt werden. Aber auch für die noch zu erstellenden zusätzlichen Materialien stehen herunterladbare Vorlagen und Beschaffungslisten online zur Verfügung. Beispielsweise können die drehbaren Caesar- oder Enigma-Scheiben ausgedruckt, ausgeschnitten und in leere CD-Hüllen eingelegt werden.
Lizenzbedingungen: Viele der hier vorgestellten Lernstationen zur Kryptographie, wurden bereits ab 2004 aufgrund der Initiative von Katrin Schäfer an der Bergischen Universität Wuppertal entwickelt. Sie konnten jedoch nicht für die Öffentlichkeit verfügbar gemacht werden, weil nicht für alle genutzten Abbildungen die Veröffentlichungsrechte vorhanden waren. Ab 2011 wurden die Stationen ergänzt und überarbeitet. Für die Erstellung und Überarbeitung wurden freie Werkzeuge wie LaTeX und TikZ genutzt. Alle Abbildungen und Texte wurden von den Autoren selbst erstellt oder sind rechtefrei.
Das gesamte Material steht nun auf den Didaktik-der-Informatik-Seiten der Bergischen Universität Wuppertal unter der Creative-Commonce-Lizenz CC BY-NC-SA öffentlich zur Verfügung. Diese Lizenz bedeutet, dass das Material unter der Bedingung der Namensnennung für eine nichtkommerzielle Nutzung vervielfältigt und weitergegeben werden darf. Möglich ist auch eine Bearbeitung und Veränderung. Allerdings verpflichtet die Lizenz dazu, die entstehenden neuen Materialien unter exakt den gleichen Bedingungen zu lizenzieren.